Die Toleranzfalle. Was grenzenlose Liberalität uns und unseren Kindern antut by Axel Becker

Die Toleranzfalle. Was grenzenlose Liberalität uns und unseren Kindern antut by Axel Becker

Autor:Axel Becker [Becker, Axel]
Die sprache: deu
Format: azw3, epub
Tags: Toleranz, Gewaltprävention, Werte, Flüchtlinge, Sachbuch, Autorität, Konsequenz, Grenzen setzen
ISBN: 9783407864192
Herausgeber: Beltz
veröffentlicht: 2016-12-04T23:00:00+00:00


15. Exkurs II: Erziehung im kulturellen Zwiespalt

Seit Sommer 2015 hat sich die bundesrepublikanische Welt in entscheidender Weise verändert. Mit der Flüchtlingswelle aus den Bürgerkriegs- und Hungergebieten Afrikas und Asiens erreichen viele junge Menschen mit anderen kulturellen Hintergründen und Erfahrungen unser Land. Kinder, Jugendliche, Heranwachsende, überwiegend männlich, mit und ohne Familie, die weniger aus wirtschaftlichen Beweggründen auf der Flucht sind, sondern weil sie der Gefahr für Leib und Leben entkommen wollen. Sie haben nur wenig materielle Habseligkeiten auf dieser Reise, aber sie sind geleitet von Träumen und Erwartungen an eine bessere Zukunft. Die Zahl der ankommenden Menschen erhöht sich von Tag zu Tag. Niemand weiß, wie viele Menschen der Familiennachzug der anerkannten Flüchtlinge bringen wird. Mit rund 300 000 zusätzlichen Flüchtlingskindern im Schulalter rechnete die Lehrergewerkschaft GEW im Schuljahr 2015/16. Dies mache rund 25 000 zusätzliche Lehrerstellen erforderlich, wolle man den Kindern einen vernünftigen Schulbesuch ermöglichen. Auch die Ständige Konferenz der Kultusminister (KMK) geht von diesen Größenordnungen aus und gibt in einer Meldung vom Februar 2016 zu bedenken, dass der Prozess zu dynamisch sei, um genauere Zahlen vorzulegen.

Doch mit Berechnungen ist es nicht getan. Viele Kinder haben Schreckliches erlebt, sind traumatisiert und depressiv, leiden unter Angststörungen. Wer glaubt, die Folgen solcher Erlebnisse seien mit einem freundlichen Empfang und aufmunternden Versprechungen behoben, verkennt die Situation. Ärzte warnen davor, die Situation zu unterschätzen. Um Symptome wie Albträume und »Flash-back-Erinnerungen«, in denen die traumatisierten Erlebnisse permanent wiederholt werden, nicht manifest werden zu lassen, sei eine rechtzeitige Behandlung notwendig. Nach Informationen der Sendung Monitor vom 24. September 2015 haben Flüchtlingskinder darauf jedoch erst nach 15 Monaten Anspruch. Grundsätzlich stellt sich die Frage: Sind wir dafür gerüstet? Haben wir dafür das Fachpersonal und die Behandlungsplätze, von den anfallenden Kosten ganz abgesehen? Noch gibt es keinen Überblick über die Anzahl der behandlungsbedürftigen Kinder und Jugendlichen. Schätzungen gehen von besorgniserregenden 60 Prozent aller Flüchtlingskinder aus.

Aggressives Verhalten, Konzentrationsstörungen und Kontaktschwierigkeiten sind die Folgen. Was das für den Unterricht in den Schulen bedeutet, konnte ich schon vor Jahren bei einem Jungen erleben, der mit seiner Familie vor dem libanesischen Bürgerkrieg geflohen war. Im Grundschulalter, so wurde mir berichtet, habe er sich unter dem Tisch verkrochen, wenn ein Flugzeug das Gebäude überflog. Später, als er als Jugendlicher in unsere Klasse kam, provozierte er ununterbrochen und lag ständig im Streit mit seinen Klassenkameraden. Auf einer Klassenfahrt warf er die Handtücher aller Mitschüler im Duschraum auf den nassen Boden und trampelte darauf herum. Er hatte kein Gefühl für Gefahren. Aus Verärgerung stieß er einen Klassenkameraden auf die Fahrbahn. Von Lehrern ließ er sich nichts sagen. Auch die Eltern verweigerten sich allen Ratschlägen zur Erziehung. Das Verhalten des Jungen wurde vom Schulpsychologen als Traumatisierungsfolge beschrieben. Gebraucht hätte er eine Therapie. Bekommen hat er Schläge mit dem Gürtel des Vaters.

Es war meine erste Erfahrung mit einem jungen Menschen, der direkt aus einem Kriegsgebiet geflohen war, und sie war alles andere als positiv. Familien, die aus zerfallenden, desolaten Staaten flüchten, werden wenig Vertrauen in Behörden setzen. Das vergrößert die schon kulturell angelegte Abneigung gegen die Einmischung des Staates



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